Dieser Text ist kein klassischer Urlaubsrückblick.
Er ist ein Fundstück aus einer Zeit, in der ich selbst auf der Suche war. Nicht nach Hotels, nicht nach Aussichtspunkten – sondern nach mir.
Ich habe diese Zeilen ursprünglich um 2007 geschrieben, in einer Lebensphase, in der vieles zerbrach. Nach meinem Konkurs stand ich plötzlich vor der Frage: Wer bin ich ohne Erfolg, ohne Titel, ohne Aufgabe? Mallorca war damals nur Kulisse – die eigentliche Reise begann in mir.
2011 habe ich diesen Essay nochmals überarbeitet, in einer Phase der Neuorientierung. Ich veröffentlichte meine Gedanken damals als Teil einer kleinen Sammlung kurzer Texte und Reflexionen, die ich später auch auf Amazon unter Abenteuer Leben herausbrachte. Kleine Erfolgsgeschichten – aber keine glatten. Eher Echos aus Zwischenräumen: zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen Schmerz und Aufbruch, zwischen Anpassung und Freiheit.
Heute – fast 20 Jahre später – bin ich natürlich weitergegangen. Ich habe viel erlebt, viel gelernt, viel hinter mir gelassen. Aber dieser Text ist für mich ein Zeitdokument. Ein Blick zurück auf eine Version meiner selbst, die den Mut hatte, sich ehrlich zu begegnen.
Vielleicht findest du dich in manchen Zeilen wieder. Vielleicht beginnst du, eigene Fragen zu stellen. Vielleicht nimmst du dir einfach nur mit, dass jede Reise – ob nach Mallorca oder nach innen – ihre ganz eigene Wahrheit kennt.
Und dass man nicht immer ankommen muss, um unterwegs ein Stück mehr bei sich zu sein.
Ein Inselmoment mit vielen Gesichtern
Mallorca, eine Insel mit vielen Facetten. Traumhafte, herzige, bezaubernde Buchten um Santany. Steile, zeitzerklüftete Klippen auf Formentor. Weites Meer rings um mich – was mich ehrfürchtig werden ließ. Eine kurze Reise in die Vergangenheit, zurück in den Spätsommer.
Kraftvoll blühende Gärten – ein Versuch der Natur, die Zeit einzufangen? Oder doch nur die mallorquinischen Gärtner, die beauftragt sind, ihn hinauszuzögern, so lange es geht?
Kontrolle. Ja, das ist ein Thema dieses durch Breitengrad und Traumvorstellungen begrenzten Kleinods. Ort der Einsamkeit, Fundgrube jeglichen Rummels – je nach dem. Und Bedarf. Unwissentlich, nichtsahnend, bieten ihre steinigen, lehmigen, trockenen, waldigen, grünen oder betonierten Regionen jedem Besucher das, was seine Augen wahrzunehmen bedürfen, was seine Stimmung braucht.
Mallorca: Schatten, Sonne und zwei verschlungene Bücher
Meine Haut ist etwas dunkler geworden – freilich, von der Sonne. Jedoch nur deshalb, weil ich es ihr täglich vier bis sechs Stunden gestattete, mich zu bescheinen.
Diese Muße habe ich in meinem Garten nicht. Dort suche ich den Schatten – zwar nicht unter Palmen, hier reicht mir die Markise. Mh, nun gut – daheim gibt es wohl immer was zu tun. Die Zeit tickt einfach anders.
Von knorrigen Oliven- und Mandelbäumen umgeben, konnte ich immerhin zwei Bücher verschlingen:
Eines von meiner lieben Freundin Dr. Jirina Prekop: „Erstgeborene“, bei der ich übrigens einige Seminare in ihrer „Liebesfesthaltetherapie“ belegt habe. Und Psychokinesiologie, ebenfalls ein Interessengebiet, von Dr. Klußmann.
Daheim hätte ich dafür wohl meine Nächte verkürzt. Wie meist.
Zwischen Wahrheit und touristischer Illusion
Doch Mallorca ist für mich ebenso eine Lüge.
Einem „echten“ Mallorquiner bin ich im Grunde nicht begegnet – außer ein paar, wahrscheinlich Bauern, an denen ich morgens beim Joggen vorbeihuschte, aufgeschreckt durch die gar nicht so fernen jaulenden Hunde. Menschen, die schwer definierbare Arbeiten auf ihren, von unzähligen alten Steinmauern gesäumten Gründen erledigten.
Mallorca ist eine Insel der Anderen. Eine Insel, die ihren Traum aufgegeben hat. Die sich ergeben hat – den Geldbörsen der Deutschen, Österreicher, Engländer und Amerikaner. Ja, sie ist international geworden. Kosmopolitisch. Für mich trotzdem ein Sorgenkind. Eine Vollwaise. Eine Geisel derselben.
George Sand und die Geschichte der Geächteten
Eine der wenigen, die wohl wusste, warum sie kam, war George Sand.
Mit ihrem Geliebten Frederic Chopin und ihren Kindern betrat sie vor über 150 Jahren unter abenteuerlichen Bedingungen die Insel. Doch auch sie war letztlich eine Geächtete. Eine Außenseiterin, nur akzeptiert wegen ihrer begehrten Pfunde.
Eigentlich ist es gleich geblieben – nur hundertfach potenziert.
Freundlichkeit, mal aus verdecktem Neid, mal aus Not. Wie überall auf der Welt, wo die Natur sich grandiose Schauplätze geschaffen hat, die für Geld immer zu haben sind. Unsere Welt ist leider käuflich.
Mallorca: Lifestyle oder echter Rückzug?
Ein Österreicher, ein Bekannter von mir, einer, der sein Glück in 25 Jahren Ehe nie gefunden hat – bisher nicht – hat dort eine uralte Finca gemietet. Schief, krumm, verwinkelt, verschachtelt. Aber mit Wasser aus Wand, Licht, und einem ganz eigenen Flair – dem der Reduktion.
Er sieht diesen Charme – aber nur, weil es schick ist. Weil seine Freunde ähnliche Grundstücke bewohnen. Manche fix, andere zeitweise. Und weil man sich bei Gegeneinladungen mit den neuesten Ambienteschätzen, Keramiken von Hobbybrennern oder farblich abgestimmten Pflanzüberzüchtungen gegenseitig übertrumpfen kann.
Den größten Reichtum erkennt er nicht:
Die Bedeutung einer Insel. Der Begrenzung. Der Möglichkeit des Rückzugs von eben diesen üblichen Bequemlichkeiten.
Er ist nur dort, wenn jemand Zeit findet, ihn zu besuchen. Damit er mit Leben umgeben ist. Dafür zahlt er sogar Flüge. Es wird sich Leben gekauft – oberflächliche Unterhaltung – um der Angst vor dem Alleinsein um jeden Preis nicht zu begegnen.
Was ich auf Mallorca suchte, war nicht nur Sonne – sondern ein Gefühl von Freiheit. Genau darum geht es beim Archetypen des Entdeckers.
Fluchtorte ohne Ziel
Solche Typen habe ich dort einige kennengelernt.
Aber auch andere. Die wie Eremiten leben. Die einst den Wert der Insel erkannt haben – aber die Kurve nicht bekamen. Oder erschöpft vom Trubel den Rückzug wählten. Verborgen hinter Sandsteinmauern.
Deutsche, Österreicher, Engländer auf der Flucht?
Vor sich selbst? Vor der Gesellschaft?
Das Glück, das sie suchen, hat aber auch dort kein Nest. Nirgendwo.
Und dann kommen sie nach x Jahren zurück – um in Kleinkleckersdorf auf dem heimischen Friedhof begraben zu werden.
Wie kann man eigentlich vor einem Wirtschaftswunder wie Deutschland oder Österreich fliehen?
Vor allem: Wie kann man vor seiner Nation davonlaufen? Vor seiner Identität?
Schande über mich. Ich lebe im Ausland.
Wo ich Deutschland so liebe.
Ich war genauso bescheuert. Dumm. Naiv.
Bin feige fortgelaufen – damals. Vor 18 Jahren.
Und ich fand es genauso cool. Vor allem, wenn ich zu Besuch in Berlin war. Allein mit diesem Umstand konnte ich angeben.
Ich fühlte mich besonders. Genoss meinen Status.
Keiner wusste wirklich was von mir. Ich war geheimnisvoll.
Fuhr mit Pauken und Trompeten ein. Schwarzer BMW. Zweitwohnung in der Big City.
Meine alten „Freunde“ hätten mich dafür am liebsten gesteinigt. Ich habe diesen Hass gespürt.
Also war ich großzügig. Habe eingeladen. Gezahlt. Mir Annahme gekauft.
Furchtbar. Brech. Gestörtsein infolge.
Es ist traurig. Der Rohstoff Mensch wird knapp.
Ein Paradox auf einem überbevölkerten Planeten – doch ich meine Freunde. Vertrauensvolle, ehrliche Beziehungen.
Wir spielen mit dem Fundamentalen. Unserem inneren Kern.
Mallorca und was kostet Liebe?
Ist es nicht verrückt, wenn Geliebtwerden Kraft kostet?
Macht Liebe dann müde?
Was nützt es, wenn ich am Gipfel kaputt und ausgelaugt bin? Kann ich den Blick dann überhaupt noch genießen?
Sind wir dazu verdammt, ein Leben lang in dieser Illusion vom Glück zu treiben – und dafür unentwegt kraftzerrende, sinnlose Reisen zu unternehmen?
Das Leben als Brennholzlieferung
Ein Leben ist wie eine genormte Brennholzlieferung im September.
Wenn wir lusttrunken im Oktober einheizen, weil uns die Restwärme des Septembers verwöhnt hat,
und wir lieber im T-Shirt rumlungern, als eine Jacke drüberzuziehen…
Wenn wir im Dezember täglich saunabaden – wie lange wird der Brennstoff reichen?
Bis April, wo oft noch kalte Tage lauern?
Oder nur bis Ende Februar, weil der besonders tückisch ist?
Mallorca: Die Reise zu mir
Abgesehen von dieser freizügigen Inseleinladung bin ich seit geräumer Zeit auf einer anderen Reise.
Die bisher beschwerlichste meines Lebens: Die Reise zu mir.
Ich weiß, oft stehen wir erst am Anfang.
Aber ich bin froh, endlich diesen entscheidend klaren Blick in diese begrenzt reiche Zukunft zu haben.
Er war nicht nur Grund für den Aufbruch, sondern beeinflusst auch die Reisezeit – damit ich noch zu Lebzeiten ankomme.
Bestimmt hätte ich Mallorca anders erlebt.
Realitätsfremder.
Wenn ich in einer Hülle von Liebe dorthin geschwebt wäre.
Dann wäre mir allerdings vieles entgangen.
Vieles verborgen geblieben.
Vielleicht werde ich sie wieder besuchen.
Denn es gibt magische Plätze dort – jene, die es an jedem Ort der Welt gibt, und die ihn selbst ausmachen.
Deshalb?
Nein. Ich würde die Insel gern aus zyklopischen Augen betrachten.
Aus vieren.
In Liebe zu mir.
Und denen einer besonderen Liebesbeziehung.
Weil man sie dann erst in ihrer Vollkommenheit sieht.
Warum mich gerade diese Fragen über Wahrheit, Identität und innere Erkenntnis so berühren, erfährst du auch in meinem Beitrag über den Weisen Archetyp.
Mallorca: Ein letzter Blick
Das Schicksal geht seltsame Wege.
Und die Wahrscheinlichkeit, dir auf einem dieser menschenleeren, selig erfüllten Pfade zu begegnen, steigt.
Zumindest in meinem Herzen.
Am Ende dieser Reise lass uns nun diesen erhabenen Blick genießen:
Gehüllt in das Licht, das in der Ferne in sich verschmilzt – in azurblauen Tiefen und ebensolchen Höhen.
Atme mit mir die Millionen feinen, unsichtbaren Wassertröpfchen ein,
die den Duft und die Kraft der gesamten Inseloase in sich tragen.
Und dann –
tu einfach nichts.
Deine Doreen