Wahrnehmung – wie sie funktioniert. Wir alle sind ständig so in Aktion und Beschäftigt, dass uns meist nicht wirklich bewusst ist, wie die Welt um uns wirklich funktioniert und wie wir sie wirklich wahrnehmen. Dies Betrifft einerseits wie wir selbst die Welt wahrnehmen, aber auch wie unsere Umwelt uns zB. als Experte wahrnimmt ist hierbei von Bedeutung.
Deshalb möchte ich in diesem Beitrag der Sache mit der Wahrnehmung mal etwas näher auf den Grund gehen.
„Wir nehmen wahr, was wir schon kennen – und umgekehrt.“ Trifft das wirklich so zu oder ist es ganz anders?
„Es ist absolut möglich, dass jenseits der Wahrnehmung unserer Sinne ungeahnte Welten verborgen sind.“ Albert Einstein
„Die ältesten Schriften der Hindus und wahrscheinlich der Menschheit, die Veden, beschreiben Raum und Zeit als die beiden größten Täuscher, die uns den Blick auf die Realität verstellen. Die alten Ägypter sprachen vom Schleier der Isis, der den Blick auf die eigentliche Wirklichkeit so lange verstellte, bis die Menschen lernten, die Illusion der vordergründigen Welt zu durchschauen.“
Derartige Sprachbilder mögen den Intellekt beeindrucken, aber deine eigenen Erfahrungen vermitteln dir wahrscheinlich mehr.
Wie funktioniert unsere Wahrnehmung?
Wie nehmen wir die Welt wahr und vor allem was und warum?
Diesen Fragen werde ich mithilfe aktueller Erkenntnisse aus Neurobiologie bzw. Gehirnforschung nachgehen. Zudem werde ich dir aus den Zusammenhänge von Psychologie, interkultureller Kommunikation und allgemeiner Lernforschung zeigen, wie gedanklich überlieferter Stereotype zu Stande kommen und die Aussage: „Wie nehmen nur wahr, was wir schon kennen und umgekehrt“ hinterfragen.
Bild: Wittgenstein`sche Hasenente
„Wir nehmen viel mehr wahr und werden viel mehr von unserer Wahrnehmung beeinflusst als wir WISSEN. Die Signale, die wir aussenden und empfangen sind mitunter so subtil, dass sie uns nicht bewußt werden.“
Paul Watzlawick
Was bedeutet Wahrnehmung?
Wahrnehmung ist ein Prozess, bei dem unser Gehirn Informationen aus unserer Umgebung verarbeitet. Mit unseren fünf Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) nehmen wir ständig Reize auf und unser Gehirn verarbeitet diese zu Sinneseindrücken. Diese Sinneseindrücke werden dann durch Erfahrungen, Wissen und Erwartungen ergänzt, um Bedeutung und Verständnis zu schaffen.
Zum Beispiel, wenn wir ein Stück Pizza riechen, erkennt unser Gehirn den Geruch, ergänzt ihn mit unserem Wissen über Pizza und gibt uns das Gefühl von Hunger oder Vorfreude auf das Essen. Wahrnehmung ist also ein wichtiger Teil unseres Denkens und Handelns, weil sie uns dabei hilft, die Welt um uns herum zu verstehen und darauf zu reagieren.
Arten der Wahrnehmung
- Visuelle Wahrnehmung: Sie bezieht sich auf die Verarbeitung von Informationen, die wir mit unseren Augen aufnehmen.
- Auditive Wahrnehmung: Hierbei geht es um die Verarbeitung von Geräuschen, die wir hören, und um das Verständnis der Bedeutung dieser Geräusche.
- Olfaktorische Wahrnehmung: Dies ist die Verarbeitung von Gerüchen, die wir durch unsere Nase wahrnehmen.
- Gustatorische Wahrnehmung: Dies ist die Verarbeitung von Geschmacksempfindungen, die wir durch unsere Zunge wahrnehmen.
- Taktile Wahrnehmung: Dies bezieht sich auf die Verarbeitung von Empfindungen, die wir durch unsere Haut spüren, wie z. B. Berührungen, Hitze und Kälte.
Es gibt auch noch weitere Arten der Wahrnehmung, wie z.B. die Propriozeption, welche uns dabei hilft, die Position und Bewegung unserer Gliedmaßen und unseres Körpers im Raum wahrzunehmen.
Zusammen helfen uns diese verschiedenen Arten der Wahrnehmung dabei, eine umfassende Vorstellung von unserer Umgebung und uns selbst zu entwickeln.
Der Prozess unserer Wahrnehmung
Über unsere Sinnesorgane nimmt das Gehirn unsere Wahrnehmungen aus der Umwelt auf. Sie reagieren auf Reize wie Licht, Schall oder Druck und leiten diese als elektrische Signale an bestimmte Areale der Großhirnrinde weiter. Dort werden sie zu Empfindungen, wie Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken oder Gerüchen, verarbeitet.
Ständig wird unser Gehirn mit solchen sensorischen Informationen bombardiert, doch nur ein Bruchteil davon dringt in unser Bewusstsein. Die meisten Signale bleiben unbemerkt, besonders „laute“ oder „wichtige“ erregen unsere Aufmerksamkeit. Sie werden uns bewusst. Äußere Einflüsse sind z.B. Geräusche oder Licht, innere Erinnerungen wie Wissen, Gelerntes, Erfahrungen oder Vorstellungen. Erstere nennt man „Bottom-up“ („von unten nach oben“) letztere „Top-down“ („von oben nach unten“) Verarbeitung.
Die visuelle Bottom-up (von unten nach oben) Verarbeitung liefert dem Gehirn Informationen aus dem Gesichtsfeld. Top-down (von oben nach unten) Prozesse entscheiden, was davon bewusst wird. Gemeinsam erzeugen sie unsere Wahrnehmung der Realität. Somit wird uns auch die Wahrnehmung von Zeit wahrscheinlich erst möglich durch die Fähigkeit des Gehirns Erlebtes zu speichern.
Wahrnehmung ist selektiv und subjektiv
Beim Betrachten eines Bildes z.B. bleibt der Blick meist immer wieder an wenigen kleinen Flächen hängen. Das übrige Bild bleibt verschwommen, es sei denn, wir schenken ihm bewusst Aufmerksamkeit. Studien ergaben, dass wir besonders jene Details betrachten, die mit anderen Menschen zu tun haben.
Dies wird durch höhere Hirnfunktionen bestimmt, die sich eher mit sozialen Belangen befassen. Hier kann durchaus ein „falsches Selbstbild“ entstehen, dass der Person zu schaffen macht. Wenn dich das betrifft, sieh dir die Ausbildung zum Mindset Coach an.
Wahrnehmung und Täuschung
Sieh dir doch hier mal folgende Bilder aus einer tollen Werbekampagne von Colgate an.
Wahrscheinlich sind dir in jedem Bild zuerst die Essensreste des Mannes auffallen. Stimmt`s ?
Oder wäre dir auch aufgefallen, dass der Mann im Bild ganz links kein Ohr hat? Die Frau im mittleren Bild hat sechs Finger? Und der Frau auf dem rechten Bild wächst der Arm aus dem Rücken? 😉
Jeder Mensch erlebt ein Ereignis anscheinend anders. So kann z.B. die Wahrnehmung von Farben bei mehreren Personen ganz unterschiedlich sein, sodass manche Farben leuchtender sehen als andere. Hier ist der Beitrag zur Psychologie der Farben vielleicht spannend für dich. Auch Erinnerungen, Wissen und Erwartungen beeinflussen die Top-down-Verarbeitung.
Wahrnehmung ist ein aktiver Vorgang
Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist also erfahrungsabhängig.
Versuche mit Probanden bestimmte Phantasiebilder zu betrachten ergaben, dass jeder auf diesen Bildern etwas anderes wahrnimmt. Die Forschung ist hier der Meinung, dass diese individuellen Bedeutungszuweisungen zumeist in Zusammenhang mit den eigenen Erfahrungen und Gefühlen, oder auf Grundlage bestimmter Wissensvorräte, erfolgen.
Sozialisierung & Stereotypes Denken im Wahrnehmungsprozess
Deshalb bedarf die Aussage: “Wir nehmen nur wahr, was wir bereits kennen, einer Korrektur, weil man nur unzureichend erklären könnte, wie wir überhaupt in den Besitz von Wissen gelangen, wenn es doch jeglicher Erfahrung voraus liegt und den Wahrnehmungsprozess bestimmen soll. Für den Nachweis eines Korrekturvorschlages bleiben derweil nur zwei Erklärungsmöglichkeiten:
These 1: Konditionierung der Wahrnehmung durch Erziehung
Verursacht durch unsere Erziehung und Sozialisation werden wir in Bezug auf unsere Wahrnehmung gewissermaßen konditioniert, speichern diese ab und greifen bei Bedarf darauf zurück. Das heißt „dass die Selektion unserer Wahrnehmungen durch die Kontexte in denen wir sozialisiert sind, gesteuert werden. Zudem scheinen unsere Wahrnehmungen und unser Wissen kulturspezifisch zu sein, weil sie sich auf diejenigen Erfahrungen beziehen, die für eine bestimmte Lebenswelt von primärer Bedeutung sind.
These 2: Stereotype in der Wahrnehmung
Wir „konstruieren einen Sinn, indem wir Analogien bilden und von bereits Bekanntes auf Ähnliches schließen.“ Das lässt vermuten, dass wir quasi notgedrungen immer wieder Stereotype und Vorurteile produzieren. Da wir aber Ordnung bzw. Sinn brauchen versuchen wir bestimmte Eindrücke [womöglich in allen Lebenslagen] bereits vorhandenem Wissen und vorhandenen Begriffen zuzuordnen. Mehr zum Thema Stereotype findest du hier.
Wahrnehmung ist nicht objektiv
Weiters nehmen wir an, „dass Wahrnehmungen nicht objektiv sind, sondern interpretatorisch durch Schemata geleitet werden, die sich im permanenten Wechselspiel von Erfahrung und Erwartung in unserem Gehirn herausgebildet haben.
Ergebnisse aus der Gehirnforschung zeigen hier, dass im Laufe unseres Lebens, vermutlich durch Lernprozesse jene Neuronen, die zusammen ein bestimmtes Erlebnis produzieren, so modifiziert werden, dass sie die Tendenz zeigen, erneut gemeinsam zu feuern. Durch dieses gemeinsame Abfeuern wird das Orginalerlebnis rekonstruiert, man „erinnert“ sich.
Das bedeutet, dass in neuen, „scheinbar fremden“ Situationen diese, oder ein Teil dieser Neuronen (auch) feuern und zu entsprechenden (in den Kontext passenden) Handlungen anregen. Die Kulturforschung nimmt an, dass eine vielfältige Erfahrungswelt dazu beiträgt, flexibler und toleranzfähiger zu werden, eine Kernthese und Bedingung für interkulturelle Kompetenz.
Selbst-, Fremdbilder und Metabilder
„Alles ist realtiv. Drei Haare in der Suppe sind relativ viel, drei Haare auf dem Kopf relativ wenig.“
Dass uns Fremdes überhaupt nichts sagt, stellt eher eine Ausnahme als die Regel dar. In unterschiedlichen Wissenschaften erscheint das oder der Fremde oft negativ, als Random site, unheimlich, oder in mancher Welt sogar als „Sünder“. Mit anderen Worten: Der Begriff der Fremdheit selbst scheint relativ und damit sujektiv definiert zu sein.
Aus der Psychologie ist bekannt, dass Wahrnehmung uns Identität ermöglicht. Fremdheit steht also womöglich in Bezug zum Selbstbild.
Studien in denen u.a. Manager gefragt wurden, wie weit bzw. nah sie eine Entfernung zu einer bestimmten Stadt auf der Welt einschätzen, waren erstaunlich: Städte, die aus eigener Erfahrung oder aus Medien, von Kollegen, etc. bekannt waren, wurden viel näher eingeschätzt als Unbekannte, die erheblich ferner angesiedelt wurden. Das bedeutet „dass letztlich unsere Beziehung zu „diesem Anderen“ darüber entscheidet, wie fern oder fremd es für uns ist.
Wir definieren uns im Verhältnis zu anderen und umgekehrt
Diese Einschätzung nehmen wir laut Psychologie anscheinend (auch) in Bezug auf uns selbst vor. Wir definieren uns im Verhältnis zu anderen – und umgekehrt. Wie sich dies vielleicht im beruflichem Kontext zum Beispiel während des Ersten Eindrucks beim Personal Branding auswirkt kannst du hier nachlesen.
Wir nehmen wahr, dass es ein ICH, ein DU, ein WIR und ein ES, also die Umwelt gibt, und dass dies vermutlich etwas grundsätzlich anderes ist.
Somit wird klar, dass sich Selbsteinschätzungen in Abhängigkeit zu unterschiedlichen Fremdbildern vollkommen verändern können. Unser Selbstbild dadurch geprägt, dass wir davon ausgehen, das andere etwas bestimmtes von uns denken und erwarten. Hierbei spricht man von sogenannten Metabildern.
„Der Mensch weiß mehr als er versteht“ Alfred Adler
„Die Seele ist konservativ. Nur die allerschärfste Not vermag sie aufzuschrecken.“ C.G. Jung
Leben ist ein Zustand vom Minus ins Plus
Alfred Adler (1870-1937) sagte einst: „Mensch sein heißt sich minderwertig fühlen“. Und ein Kind verrät durch seine Bewegungen und sein Tun das Gefühl seiner Unzulänglichkeit. Es strebt nach Vervollkommung, nach der Lösung seiner Lebensanforderungen. Genauso können wir die geschichtliche Bewegung der Menschheit, als eine Geschichte von Minderwertigkeitsgefühlen und seiner Lösungsversuche ansehen. Einmal in Bewegung, ist die lebende Materie stets darauf aus, von einer Minussituation in eine Plussituation zu gelangen. Empfohlener Beitrag: Vom Streben nach Glück und Gesundheit.
Bolten beschreibt die Definition von Fremd im Sinne von einerseits fern von und andererseits vorwärts. Damit meint er, dass etwas genau dann fremd ist, wenn entsprechende Erfahrungen nicht vorliegen.
Was ich nicht kenne, ist mir fremd. Schlüsselfaktor für unseren Umgang mit Fremdheit ist jedoch, die zweite Bedeutung „vorwärts“. Sie drückt in ähnlicher Weise aus, wie es bereits Adler beschrieb: Wir Menschen sind stets bestrebt Fremdes zu erkunden, um uns verständlich zu machen, und es um jeden Preis (in uns) zu integrieren“. Wir wollen uns Neues quasi einverleiben.
Persönliche Reflexion zur Wahrnehmung
Ich wollte die zentrale Frage: „Wir nehmen nur wahr, was man kennt – und umgekehrt“ versuchen zu modifizieren.
Am Anfang habe ich dir kurz und knapp die Prinzipien der Wahrnehmung erklärt und Verknüpfungen zu verschiedenen Wissenschaften hergestellt.
Im zweiten Teil habe ich die gewonnenen Einsichten aus Psychologie und Gehirnforschung verdichtet und mit in den Kontext der interkulturellen Kommunikation gebracht.
Zum Abschluss habe ich das Erkannte dargelegt, um damit (auch) meine Vermutung: „Der Mensch nimmt nur wahr was er kennt“, zu widerlegen.
Fazit zur Wahrnehmung
Menschen haben die Fähigkeit zu individueller Wahrnehmung, d.h. sie ist selektiv, relativ, und damit subjektiv.
Wahrnehmung steht in direktem Zusammenhang mit der Bewegung nach vorwärts. Im Sinne Adlers und Boltens, dem Streben nach Entwicklung im weiteren Sinne.
Wahrnehmung bedingt ebenso Kommunikation. Aber auch Wissen als solches und das bewusste oder vielleicht sogar unbewusste Wissen oder Ahnen um Selbst-und Fremdbilder. Diese können aufgrund unserer Sozialisierung und im kulturellen Kontext Stereotype sein. Wenn dich das Thema interessiert, sieh dir auch meine Beiträge zu Symbolen und Archetypen im Marketing an.
Für das Lernen trifft aus Sicht Rolf Arnolds das gleiche zu wie für die Kommunikation im Sinne Watzlawicks:
„Man kann nicht nicht kommunizieren“
Watzlawick
„Man kann nicht nicht lernen.“
Rolf Arnold
Der unbewussten Bildung von Sterotypen kannst du durch Lernen und durch die Würdigung der Vielfalt (Erfahrungsvielfalt) entgegentreten.
Ausblick zur Wahrnehmung
Die Globalisierungsprozesse in der Welt können unsere Erfahrungsvielfalt begünstigen. Durch die zunehmende Mobilität und auch im Hinblick auf die ständigen und steigenden medientechnologischen Entwicklungen, mit anderen Worten:
Wenn du dich offen hältst für Neues und Fremdes wirst du in deiner Zukunft immer in der Lage sein dazuzulernen. Durch bewusstes lebenslanges Lernen kannst du deine Wahrnehmung erweitern und damit Fremdheit zu überwinden. (quod erat faciendum.)
Doreen Ullrich
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Bis zum nächsten Mal, Deine Doreen
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